Magazin für Zivil- und Katastrophenschutz
Politik und Gesellschaft, Februar 2001


Bevölkerungsschutz

25 000 Türen im Berg Aachener Photograph dokumentiert den „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes“

Von Rainer Schramm

Jahrzehntelang war er wohl das bestgehütete Geheimnis der Bundesrepublik Deutschland. Ein Geheimnis, das inmitten einer der lieblichsten Weingegenden unseres Landes Realität war und vielleicht deshalb nicht sofort als solches wahrgenommen wurde. Ein Geheimnis, das man dort wahrscheinlich auch nicht vermutet hat. Die Rede ist vom bisherigen „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes“ (AdVB), in der Umgangs-sprache als „Regierungsbunker“ und im Bereich der Verwaltung als „Dienststelle Marienthal“ bezeichnet. Tief eingebettet im Schiefergestein unter den Weinbergen des Ahrtales liegt dieser Bunker, der in seinen Ausmaßen und in seinem Sicherheitsstandart wohl einmalig auf dieser Welt war.

Weltweit einzigartig
3000 Menschen hätten im „Ernstfall“ bis zu 30 Tage „die Handlungsfähigkeit der Verfassungsorgane gewährleisten können“. Die gemeinsame Krisenunterbringung aller Verfassungsorgane am gleichen Ort war weltweit einzigartig. Gebaut wurde die Anlage auf der Basis eines ehemaligen Eisenbahntunnels zwischen 1960 und 1972. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Zerfall des Warschauer Paktes wurde die Funktionserhaltung des kostspieligen Bauwerkes als Relikt des kalten Krieges immer mehr in Zweifel gezogen. Im Dezember 1997 fasste das Bundeskabinett den Entschluss, den AdVB zu schließen. Da das gigantische Schutzbauwerk keine andere Verwendung findet, muss es auf seinen ursprünglichen Zustand zurückgebaut werden. Rückbau bedeutet, dass am Ende nur noch der ursprüngliche, drei Kilometer lange Eisenbahntunnel aus der Anfangszeit des 20. Jahrhunderts vorhanden sein wird.

Groß wie elf Fußballfelder
Rückbau bedeutet, dass aus einem 19 Kilometer langen Gangsystem, der Hauptstollen wurde durch das Einziehen einer Zwischendecke in ein Ober- und Untergeschoss geteilt, die Einbauten für 897 Büro- und Konferenzräume, 996 Schlafräume, Sanitäranlagen, Friseursalon sowie fünf Großküchen mit Speisesälen abgerissen und herausgeholt werden. Da die gesamte Anlage in fünf autarke Abschnitte eingeteilt war, sind auch jeweils fünf Belüftungs-anlagen sowie fünf Anlagen mit Dieselgeneratoren zu entfernen. Durch 25 000 Türen, manche bis 25 t schwer, konnte man in der Dienststelle Marienthal gehen. Die unterirdische Nutzfläche umfasst vor dem Rückbau 83 000 m2. Diese Fläche ist größer als elf Fußballfelder.

Das Geheimnis, das keines mehr war
Kaum war beschlossen, dass die Dienststelle Marienthal aufgelassen wird, war es mit der Geheimhaltung vorbei. Am 18. Mai 1998 wurde die höchste Geheimhaltungsstufe aufgehoben. Kurze Zeit später erhielt der Aachener Photograph Andreas Magdanz die Genehmigung, die Schutzanlage fotografisch zu dokumentieren. Bis zu diesem Zeitpunkt ein unvorstellbarer Vorgang. Kein Mensch, der jemals im Bunker war, und das waren mindesten alle zwei Jahre bei großen Übungen immerhin 3000 Teilnehmer, durfte nach der Übung in seinem privaten Umfeld erzählen, was er dort erlebt hatte. „Erinnerungsfotos“ im Bunker zu machen war strengstens verboten. Magdanz fotografierte sieben Monate lang, an mehreren Tagen in der Woche. Durch seine Bunkerbilder von Räumen, unendlich langen Gängen, tonnenschweren Drucktüren und einzelnen Gegenständen schuf Andreas Magdanz ein Zeitzeugnis deutscher Nachkriegsgeschichte.

Faszinierende Ansichten
Aus dem Ergebnis seiner Dokumentation hat Magdanz im Selbstverlag einen großformatigen Bildband mit 100 Aufnahmen geschaffen. Bilder, die das Einzigartige und die Präzision der Anlage widerspiegeln. Einen noch nie dagewesenen Betrachter lassen sie das Besondere der Dienststelle Marienthal erahnen. Welch großes Interesse an der dokumentarischen Arbeit von Andreas Magdanz besteht, zeigte eine Ausstellung mit dem Titel „Dienststelle Marienthal“, die gemeinsam vom Landschaftsverband Rheinland und dem Rheinischen Landesmuseum in Bonn gezeigt wurde.

Allein zur Eröffnung in der Ausstellungshalle „Alte Rotation“ erschienen 350 Gäste aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur. Auch die Bevölkerung zeigte an den Bildern und Exponaten ein reges Interesse. Endlich konnte man in Erfahrung bringen, welches Geheimnis sich unter einem der beliebtesten Ausflugsziele des Rheinlandes, dem Rotweinwanderweg durch das Ahrtal, verbarg.

Hohe Besucherzahl
Mehrere tausend Menschen haben die Ausstellung gesehen. Viele der Besucher waren selbst einmal Teilnehmer einer Übung in der Dienststelle Marienthal und hatten so die Möglichkeit, „ihr“ Geheimnis gegenüber der Familie zu lüften.